„Because its there“ – George Mallory

Es ist schon interessant, wie nah meine Gedanken, besonders gegen Ende meines Everstings am Freitag, dem 24. April 2020, all den Büchern und Dokumentationen, die ich über eine Everestbesteigung kenne, sind. Es ist kurz nach 20:00 Uhr an diesem wunderbaren Frühlingstag am Schienerberg in der Nähe von Radolfzell am Bodensee.

(Quelle: veloviewer, unter https://veloviewer.com/segments/1258669?referrer=Embed_everesting.cc)

Ich habe soeben den letzten vollständigen Anstieg über gut 3,8 Kilometer und 260 Höhenmeter an der Seite meiner Freundin Carmen hinter mich gebracht. Sie hatte mich bereits um 06:00 Uhr, noch vor Sonnenaufgang, am Fuße des Berges abgesetzt und über den gesamten Tag verpflegt und motiviert. So wollten wir ihn nun gemeinsam, Rad an Rad, beenden. Oben angekommen treffen wir Nadine, Maria, Volker und Frank. Freunde, die ebenfalls seit mehreren Stunden ausharren, ob ebenso fahrend oder anfeuernd, um mir einen meiner sportlichen Träume zu verwirklichen: An einem Tag mit dem Rad die Höhenmeter des Mount Everest, 8848 Meter über den Meeresspiegel, zurückzulegen!

Nach dieser 34 Runde fehlen mir noch knapp 60 Höhenmeter, ich befinde mich also, bezogen auf die Everest-Topografie, am sogenannten Hillary Step. Dieser steile Felsvorsprung wird bei der Besteigung des Berges als letzte ernsthafte Schwelle zum Gipfel gesehen und so rolle auch ich ein letztes Mal, etwa den letzten Kilometer des Schienerbergs zurück für den finalen Aufstieg. Nach gut 14 Stunden fühle ich mich zwar sehr erschöpft und ich bin auch nicht ganz schmerzfrei, aber ich habe über den gesamten Tag immer gewusst, dass ich an dieser Stelle stehen werde und ich mich mental stets antreiben kann, weiterzumachen.

Nur wenige Minuten später liege ich auf dem Rücken auf dem Parkplatz am Aussichtspunkt und habe es geschafft: 263 Kilometer mit 8859 Höhenmetern in 13:36 Stunden.

Die Planungen, begannen, wie aktuell so oft, wenige Tage zuvor, als mir die Idee kam, die fehlenden Wettkämpfe mal wieder mit einer individuellen sportlichen Herausforderung zu ersetzen. Zum Glück kann ich mein Umfeld hierfür stets schnell begeistern und alles was ich vorab überlegte war lediglich, was und wieviel esse ich, um durchzukommen und wie teile ich mir die gut 34 Fahrten ein, um es bei Tageslicht, sprich zwischen 06:00 – 20:30 Uhr, zu schaffen. Jeder der solch lange Belastungen durchlebt hat, weiß, dass irgendwann muskuläre und orthopädische „Problemchen“ nicht mehr zu vermeiden sind. Aus diesem Grund entschied ich mich für die Taktik, die erste Hälfte, also gut 17 Anstiege, über dem geplanten Durchschnitt zu fahren, was zwar einen erhöhten Energieverbrauch bedeutete, mir aber etliche Minuten Zeit für den Nachmittag und Abend verschaffen sollte. Zum einen wusste ich, dass meine Verdauung anfangs noch sehr offen für alle Formen von zuckerhaltiger Nahrung ist und später, wenn es zwickt und alles wehtut, die geplante Leistung wohl schon allein aus diesem Grund nicht mehr gehalten werden kann. Letztlich plante ich mit gut 50g Kohlenhydraten pro Stunde (mehr vertrage ich üblicherweise nicht), ausreichend Salz und Flüssigkeit, um die Entleerung der Speicher möglichst weit hinauszuzögern. Im Nachgang betrachtet, war es für mich der richtige Weg mich gegen eine gleichmäßige Einteilung zu entscheiden. Letztlich konnte ich die erhöhte Leistung bis über die 20. Wiederholung aufrechterhalten, bevor mich meine Taktik, Schmerzen und vor allem mein Energiedefizit zwangen, die Zeiten Stück für Stück, um mehrere Minuten zu reduzieren. So waren für mich eine Herzfrequenz über 140 Schlägen pro Minute und eine Trittfrequenz von über 80 Umdrehungen pro Minute gute Anhaltspunkte für die Aufrechterhaltung:

Mir war bewusst, wenn ich diese Größen bis möglichst weit in die zweite Hälfte hochhalten kann, werde ich es körperlich schaffen. Selbstverständlich hätte man dies noch deutlich besser planen und vorbereiten können, aber ich wollte mir dennoch einen gewissen Abenteuercharakter beibehalten und freute mich am Ende umso mehr, dass es hingehauen hat.

Über den Tag verteilt wurde ich stets von Freunden, anderen Radfahrern und leider auch vielen Autos und Motorrädern begleitet. Ich bin für jeden einzelnen begleiteten Meter dankbar und euch allen gehört ein Teil dieser Leistung! – Eine Leistung, die mir wieder einmal gezeigt hat, zu was der menschliche Körper im Stande ist, wie weit mein Wille mich treiben kann und wie wunderbar es ist unserer Natur Sport zu treiben!

Ich wünsche mir, besonders in der heutigen Zeit, dass diese Erkenntnisse mir persönlich, meinem Umfeld und allen Menschen, lange erhalten bleiben und, dass wir denjenigen helfen, die diese bisher nicht wahrnehmen konnten!

 

Herzlichen Dank an Alle, die mich bei diesem Vorhaben unterstützt haben! Dieses Erlebnis werde ich nie vergessen 🙂

 

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